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Sonntag, 8. November 2015

Zusammenfassung und Gedanken zum Törn



„Na, wie war’s?“  „Schön“

Nein. So einfach lässt sich die Frage nicht beantworten. Dafür gab es auf der Reise zu viele Eindrücke und vor allem zu viele Gefühlsschwankungen. Nachstehende Zeilen schreibe ich aus meinem Gedächtnis, ohne lange in das Logbuch zu schauen und nochmal zu erwähnen, welches Wetter war und woher der Wind kam. Ich möchte damit meine Erinnerungen wiedergeben, so wie sie heute, ca. 3 Monate nach Ende der Reise meine grauen Gehirnzellen gespeichert haben.

Die Vorbereitungen klappten soweit reibungslos. Nur als meine beiden Mitsegler für die erste Woche kurzfristig absagten war ich anfangs sehr enttäuscht. Ich hatte oder habe immer noch einen ziemlichen Respekt vor der Nordsee mit seinen wechselnden Gezeiten und den damit verbunden Strömungen. Dennoch startete ich optimistisch, ja euphorisch, meinen Törn. Nachdem ich die kurze Strecke durchs Wattenmeer bis Harlingen hinter mir hatte, ging es unter Motor durch die Kanäle über Leeuwarden, Dokkum nach Lauwersoog. Unterwegs hatte ich Freude an den vielen Eindrücken und der Natur denn dieser Teil der Strecke war mir unbekannt. Wann hatte ich denn schon mal einen Kuckuck aus der Nähe gesehen, der mich dann auch noch „anbellte“? Auch die Gegend um das Lauwersmeer war faszinierend. Das scheint ein riesiges Naturreservat zu sein. Gerade Anfang Mai gab es dort große Schwärme von Wasservögel zu sehen.

Dann ging es an die erste Strecke über die Nordsee. Zuerst unter Segel, nachher mit Motor ging es bei moderatem Wetter Richtung Norderney. Mit der Strömung kam ich ja noch schnell voran. Als die Emsmündung passiert war und auch die Inseln Borkum und Juist an mir vorüberzogen kam endlich mein Tagesziel Norderney in Sicht. Je näher ich kam, umso mehr machte sich Enttäuschung bei mir breit. Von weitem schon sah ich die „Skyline“ von Norderney mit großen Hotelkomplexen. Ich weiß, es ist stark übertrieben, aber als erster Gedanke kam mir ein Vergleich mit Dubai in den Sinn, was ich ja erst vor wenigen Wochen besucht hatte. Ich dachte mir: „Nee, da willst du nicht wirklich hin….!“ Aber es gab kein Zurück mehr. Der Nachmittag war schon weit fortgeschritten und so fuhr ich vorsichtig in das Fahrwasser Richtung Hafen Norderney. Hier gab es noch jede Menge Platz, die Saison hatte noch nicht angefangen. Die erste Hürde war geschafft. Drei Tage war ich hier in Norderney gefangen. Zuviel Wind aus der falschen Richtung ließ keinen Start nach Cuxhaven zu. So hatte ich genügend Zeit auszuschlafen, denn ich musste einiges nachholen, hatte ich doch die vergangenen Nächte schlecht geschlafen – wohl vor Aufregung. Mittags ging ich dann in den Ort Norderney um an einem Strandpavillion mein Krombacher und einen Espresso zu trinken. Meine anfängliche Abneigung veränderte sich (fast) in Begeisterung. Hier ging alles einen Schritt langsamer, schon weil das Publikum, die Urlaubsgäste, hauptsächlich aus Rentnern oder Familien mit kleinen Kindern bestand. Urlaubsfeeling machte sich bei mir breit. Auf dem Steg lernte ich meine Nachbarlieger Dieter und Martin kennen, zwei sehr sympathische Vertreter der Segelzunft. Wie sich später herausstellte kamen auch sie vom Ijsselmeer – aus Workum – und auch sie wollten in die Ostsee. Sie hatten nicht nur Aufenthalt wegen des Wetters hier in Norderney sondern auch wegen ihrer defekten Wasserpumpe, die erst noch repariert werden mußte. Mit den beiden hatte ich Unterhaltung und ein paar nette Stunden auf dem Schiff oder in der Kneipe. So wurde auch der unfreiwillige Aufenthalt auf Norderney doch noch recht unterhaltsam und gar nicht langweilig.

Dann ging es für mich weiter. Nach vielen langen Stunden unter Motor erreichte ich dann Cuxhaven. Im Hafen hatte ich mal wieder eine sehr unruhige Nacht. Der Schwell der vorbeifahrenden Pötte ließ die MILES & MORE ordentlich schaukeln. Aber der zweite lange Schlag über die gefürchtete Nordsee lag hinter mir. Innerlich klopfte ich mir auf die Schulter. Der Rest der Reise über Kanäle und Ostsee sollte ein Urlaubstörn werden ----dachte ich.

Am nächsten Tag startete ich entgegen aller seglerischen Vernunft bei ablaufendem Wasser Richtung Brunsbüttel. Ablaufendes Wasser bedeutet hier bei Ebbe. Bei Ebbe läuft das Wasser aus der Elbe heraus in die Nordsee. Da ich die Elbe hinauf wollte kam mir die Strömung also entgegen. So benötigte ich bis Brunsbüttel gut 5 Stunden. (Später auf der Rückreise fuhr ich mit der Strömung die gleiche Strecke in knapp 3 Stunden). In Brunsbüttel ging es dann zum ersten Mal in eine riesige Schleusenkammer zusammen mit zwei Binnenschiffen und ca. 15 anderen Seglern. Das Schleusen verlief problemlos und so ging es dann weiter durch den Nord-Ostsee-Kanal bis Rendsburg. Der Funkverkehr der Kanalüberwachung mit den großen Pötten im Kanal und auch das Überholen oder Begegnen der Pötte ließen bei mir keine Langeweile aufkommen. Ach ja, noch etwas hielt mich auf Trab: bereits seit einigen Tagen beobachtete ich, dass ganz langsam aber ständig Wasser aus dem Impeller lief. Ob hier die Impellerdichtung nicht richtig dicht war? Oder war es das gleiche Problem wie bei Dieter, die Welle in der Wasserpumpe? Jedenfalls auf dem NOK hechtete ich alle halbe Stunde den Niedergang runter nachdem die Strecke frei war und ich den Autopiloten einschaltete, Motorraum auf, und mit dem Schwamm das Wasser aus der Motorbilge aufnehmen, dann Motorraum wieder zu und wieder hoch ans Steuer. Das ist dann kein Urlaubsfeeling mehr. Da kommt Stress auf. Und zwischendurch auch mal etwas essen und zur Toilette – aber das war auch ein Problem für sich. Vielleicht komme ich da nochmal später drauf zurück. An diesem Abend war ich „stehend k.o“ und es fiel mir schwer noch etwas zu essen zu machen.

Am nächsten Morgen wurde wieder aus dem NOK herausgeschleust in die Kieler Förde. In Kiel-Friedrichsort kam noch am gleichen Nachmittag ein Monteur und tauschte den Simmerring in der Wasserpumpe aus. Gleichzeitig wurde auch der Impeller gewechselt, der schon erste Risse im Gummi zeigte. So startete ich dann frohen Mutes über eine reparierte Wasserpumpe mit dem nächsten Ziel Heiligenhafen. Dorthin kann man nicht auf geradem Weg fahren, sondern muss um zwei Schiessgebiete der Bundesmarine herumfahren. Hier gab es auch nochmal einen interessanten Funkverkehr mit den ganzen „Schlafmützen“, die wohl ohne Seekarte unterwegs sind und geradewegs in das Schiessgebiet hineinfahren. Die wurden bestimmend aber höflich über Funk gebeten, schnellstens das Gebiet zu verlassen. Etwa auf halber Strecke zeigte sich plötzlich weißer Rauch aus meinem Auspuff. Nach langem telefonischen Hin und Her mit der Werkstatt von gestern habe ich schliesslich einen Ersatzimpeller aus meinem Fundus installiert und den Motor wieder reibungslos ans Laufen bekommen. Stolz wie Oskar über diese gelungene Reparatur mit meinen zwei linken Händen erreichte ich dann Heiligenhafen. 

Nach dem Tanken freute ich mich am nächsten Tag auf einen schönen Segeltag mit Ziel Niendorf, einem kleinen Hafen nahe bei Travemünde. Der Segeltag begann auch mit einer strammen Backstagsbrise. Unter der Fehmarnsundbrücke hindurch wurde aus dem achterlichen Wind dann nach und nach ein Am-Wind-Kurs mit 6 bft. Am späten Nachmittag erreichte ich nach einigen Kreuzschlägen völlig geschafft den kleinen idyllischen Hafen Niendorf. Ich war guter Dinge da ich meinen Terminplan einhalten konnte und ich freute mich hier auf Ulla, die am übernächsten Tag zusteigen wird. Während ich in den letzten Tagen immer durch diesen festen Termin „getrieben“ wurde und deshalb täglich relativ lange Schläge organisiert hatte, sollte mit Ulla an Bord nun der Urlaub beginnen. So verblieben wir gemeinsam noch einen weiteren Tag in Niendorf und genossen hier und in Timmendorf das Flair dieser Ostseeküste.

Von hier aus ging es dann relativ unspektakulär ohne besondere Vorkommnisse weiter über Wismar, Kühlungsborn, Warnemünde nach Hiddensee. Diesen Teil Deutschlands kannten wir noch nicht, entsprechend positiv beeindruckt waren wir von diesen Orten. Hier konnten wir sehen, wo Frau Merkel und Herr Schäuble unseren Solidaritätszuschlag anlegten. Wie gesagt: positiv!
 
Hiddensee hat uns gewaltig beeindruckt. Hier haben wir zwei Tage verbracht, uns Fahrräder geliehen und die Insel erkundet. Hiddensee ist ein wahres Kleinod. Hier wird sich nur zu Fuß, per Fahrrad oder Pferdefuhrwerk fortbewegt. Die wenigen kleinen Orte mit ihren zum Teil reedgedeckten Häusern, die Pflanzen- und Tierwelt verbreiten eine Ruhe, die einen schon fast zum Flüstern animiert. Wer nicht mehr wissen will, wie man STRESS buchstabiert, der sollte mal Hiddensee besuchen. In den Boddengewässern um Hiddensee und Stralsund ist träumen allerdings verboten und sie erfordern dann allerdings wieder einen aufmerksamen Skipper. Hier bewegen wir uns nur streng im Fahrwasser, denn direkt daneben wird es sehr flach. Stralsund hat eine sehr schöne Altstadt, die es lohnt mal zu besuchen. Mit der kleinen Fähre fahren wir rüber nach Rügen, leihen uns Fahrräder und fahren einen ganzen Tag über die Insel. Obwohl der Hintern schmerzt hatten wir einen wunderschönen sonnigen Tag. So wie ein Urlaubstag sein muß.

Nachdem Ulla mit dem Zug wieder nach Hause gefahren war, wurde es für mich wieder ernst. Der Trip von Stralsund rund um Kap Arkona nach Rügen war wieder nicht ohne und forderte mich. Schönes Segeln bei halbem Wind und 3 bft. ist anders und beim Anlegen in Lohme stand der Wind voll auf den Hafen. Nur mit der Hilfe einiger anderer Segler am Steg wurde ich schliesslich fest. Und vom „Café Niedlich“ hatte ich mir auch mehr versprochen.

Am nächsten Tag dann der lange Schlag rüber nach Bornholm. Es blies wieder mit 5-6 bft. mit raumem bis achterlichem Wind. Das bedeutet eine fürchterliche Geigerei des Schiffes. Den Autopiloten konnte ich wirklich nur ganz kurze Zeit einschalten. Für die gesamte Fahrt war ich an Deck gefordert, dementsprechend platt war ich auch am Abend bei Ankunft in Rönne/Bornholm. Drei Tage hatte ich nun wieder Zeit, „Urlaub zu machen“, in den Tag hinein zu leben. Eine Busfahrt zum Norden der Insel baute mich wieder sichtlich auf. Ich genoss den Sonnenschein beim Spaziergang rund um die Nordspitze der Insel, auch die recht bewegte See mit ihren weißen Schaumkronen erfreuten mich, ich musste ja auch nicht auf ihnen tanzen. 

Der Tanzkurs begann wieder am nächsten Morgen mit 5-6 bft. als wir mit Georg an Bord nach Christiansö starteten, eine kleine Insel östlich von Bornholm. Auch auf dem Weg weiter nach Uitklippan ein ehemaliger südlicher militärischer Außenposten in der Hanöbucht vor Schweden erging es uns nicht anders. Schon seit einigen Tagen weht der Wind beständig mit ca. 5-6 bft. immer aus SW. Sicherlich wäre es heftiger, wenn er mit dieser Stärke uns auf die Nase blies, aber auch so reicht es und es ist alles andere als ein Urlaubstörn. Mittlerweile habe ich so obskure Gedanke wie „das Boot an Ort und Stelle verkaufen – und ab nach Hause“. Aber im erstbesten Moment kneifen – nein, das sehe ich auch nicht ein. „Hier muss ich jetzt durch!!“ Es werden sicher auch wieder bessere Tage kommen. Ich hätte gerne mit Georg in den südlichen Schären geankert, aber wir wurden wieder vor einer heftigen Starkwindfront gewarnt und sollten doch schnellstens einen festen Hafen anlaufen, der uns auch für 2-3 Tagen guten Schutz bieten würde. “Mensch, sollte das denn garnicht besser werden mit dem Wind! Irgendwann mußte er doch auch mal Luft holen!“ Es war auch nur der Wind, der uns ärgerte. Das Wetter sonst war gar nicht so schlecht. Es war zwar immer noch kalt, aber die Sonne war uns treu – wie die 5-6 bft. aus SW!

Als Georg dann in Kalmar von Bord ging, mußte ich mich an den Gedanken gewöhnen, die nächsten 4 Wochen alleine zu sein. Ich nahm mir nun vor, meine Tagesetappen etwas kürzer zu setzen. Jeden Tag 30-40 sm abzureiten geht doch ziemlich an die Substanz. Und mein persönliches Törnziel – Schwedens Ostschären – wollte ich schon geniessen und dann nicht wie ein schlaffer Sack in den Seilen hängen. Die kurzen Tagestrips Richtung Norden klappten auch richtig gut. Es war schön, schon mittags oder am frühen Nachmittag das Tagesziel erreicht zu haben. So konnte ich dann auch etwas von den kleinen Orten sehen, konnte mal relaxen, wirklich in Ruhe das Essen zubereiten und vor allem mal einen guten Wein aus dem Bordkeller geniessen. Das tat meiner Stimmung sichtlich gut. Als ich dann endlich meine erste Schäre erreichte, hatte ich richtige Glücksgefühle und war stolz, es bis hierhin geschafft zu haben. Aber auch das bekam schnell wieder einen Dämpfer. So schön es war, Gesellschaft zu haben und nicht alles alleine machen zu müssen, so freute ich mich doch auch auf das alleine sein. Nun bin ich alleine und ich bin ein bisschen deprimiert, dass ich meine Glücksgefühle, das Erlebte in dieser tollen Landschaft nicht teilen kann. Ich bin aber auch nie zufrieden! Daran muß ich noch arbeiten! Die kleinen Orte, die ich in den verschiedenen Schären anlaufe, ähneln sich alle. Wunderschön anzusehen sind die typischen, bunten, mit Holz verkleideten Häuser und ihre tollen Gärten – und – es wird immer Rasen gemäht. Ich habe den Eindruck jeder Rasen wird täglich mindestens zweimal gemäht. Abwechslung bringt dann das Ankern in stillen Buchten. Teils mutterseelenalleine, teils mit anderen Seglern genieße ich die absolute Ruhe. Der Nachteil hier in Schweden für mich Romantiker: es wird die ganze Nacht nicht richtig dunkel. Das bedeutet, es sind auch keine Sterne zu sehen. Gibt es doch für mich nichts schöneres, als im Cockpit auf dem Rücken zu liegen und mit dem Fernglas in den Sternenhimmel zu schauen.

Ich bin wieder drei Tage vor dem geplanten Termin in Nyköping und nutze die Zeit, an einem Tag mit dem Zug nach Stockholm zu fahren. Hier schwinge ich mich in einen Hopp On – Hopp Off-Bus und lasse mir die Hauptstadt zeigen und per Kopfhörer erklären. Das ist auch wieder eine Abwechslung vom Segeln. Brauche ich doch nicht an den Schoten zu zupfen, auf den Tiefenmesser zu achten und die Fahrwassertonnen richtig zu deuten. Hier liegt die Verantwortung beim Busfahrer.

Der nördlichste Punkt der Reise ist erreicht. Mit Ulla geht es nun in den Göta-Kanal. 62 Schleusen gilt es zu überwinden auf dem Weg von der Ostküste quer durch Schweden bis Göteborg an der Westküste. Drei Tage werden wir von Freunden aus der Heimat begleitet, allerdings fahren sie mit ihrem Wohnmobil den Götakanal entlang, fahren Fahrrad und versuchen mit Widerhaken den Fischbestand zu dezimieren. An einigen Schleusen gehen sie uns zur Hand und führen die Leinen an Land. Diese Arbeitsteilung erleichtert Ulla das Leben ein wenig, muss sie sonst alleine am Schleusenufer hochlaufen während der Skipper nur den Gashebel leicht nach vorne und wieder zurückdrücken muss. Obwohl es keine Chance gibt zu segeln – immer nur motoren – ist die Fahrt unbeschreiblich schön. Der Kanal ist teils breit, teils so schmal, daß Gegenverkehr gar nicht möglich ist. Es geht stundenlang durch Wald, dann mal wieder durch Felder, die einen weiten Blick auf eine seichte Hügellandschaft zulassen. Und immer wieder sind die mal großen und mal kleinen roten Ferienhäuser in der Landschaft versteckt. Stahlblauer Himmel mit kleinen weißen Federwolken zeigen uns ein idyllisches Bild – traumhaft schön – Natur pur! 

Trotzdem kreisen meine Gedanken schon wieder um die Rückreise – ab Göteborg quer übers Kattegat, einen ganzen Tag motoren durch den Nordostsee-Kanal und vor allem der Schlag von Cuxhaven wieder nach Norderney und von Norderney weiter nach Holland. Überhaupt habe ich ständig Angst, dass irgendwas „lebenswichtiges“ kaputt geht, z. B. der Motor startet nicht, wenn ich ihn brauche oder die Segel reißen. Alles das läßt mich die Reise nicht so unbeschwert geniessen wie es sein sollte. Wenn ich zurückdenke, habe ich mich wesentlich besser als Passagier auf einem Kreuzfahrtschiff gefühlt ohne Verantwortung für Mensch und Material. War es das jetzt mit meiner Segelleidenschaft? Habe ich die Nase voll? Das kann es doch nicht sein! Segeln ist doch so schön, meine Leidenschaft! Alle diese Gedanken beschäftigen mich.

Nach 19 Tagen erreichen wir Göteborg. Nach 19 Tagen der Ruhe und Gelassenheit kommen wir in diese Großstadt. In der Marina Lilla Bommens liegen wir auch schon mitten drin. Das ist erstmal gewöhnungsbedürftig: viele Menschen, viele Autos, viel Lärm, Hektik und – für Ulla viele Shops. Diese neuen Eindrücke lassen meine Gedanken über die weitere Heimfahrt ein wenig in den Hintergrund treten. Als Ulla am nächsten Tag nach Hause fliegt, bekomme ich regelrecht Heimweh. Aber es hilft nichts; Augen zu und durch…! Früh morgens starte ich in Göteborg. Nach ca. 1 Stunde durch die Westschären erreiche ich die offene Ostsee, das Kattegat. Hier bläst es mit 5-6 bft. aus West bei einer sehr kabbeligen See. Sofort kreisen meine Gedanken wieder um die Seekrankheit. Hoffentlich geht das gut! Ich konzentriere mich auf den Horizont wo die Tiefwasserstraße kreuzt. Aber irgendwann kommt es dann doch – das Frühstück verabschiedet sich in kleinen, kurzen Schüben, aber sonst stehe ich noch recht aufrecht hinterm Ruder. So erreiche ich am Abend die Insel Anholt. Ich bin nicht der Einzige, der dieser Insel mitten in der Ostsee zustrebt. Ich mache mir schon wieder Gedanken „Was ist, wenn kein Platz mehr im Hafen ist? Wenn ich abgewiesen werde?“ Weit und breit kein weiterer Hafen. Die nächste Möglichkeit wäre Grenaa an der Ostküste Jütlands. Das wäre dann aber nur noch in der Dunkelheit zu erreichen. Auf keinen Fall, ich bin platt – hundemüde.
Aber die Sorgen waren überflüssig. Ich bekomme noch einen guten Platz in der Marina, laufe eine Runde durch den Hafen und mache mich mit den Duschmöglichkeiten und deren Bezahlung vertraut. Mann, mann, mann! In jedem Hafen ist es anders! Mir ist alles zuviel! Nur noch zurück aufs Schiff, etwas essen und dann in die Koje denn morgen früh möchte ich auf jeden Fall weiter. Leider sehe ich sonst von der schönen Insel Anholt nichts. Direkt neben der Marina hatte ich einen tollen Sandstrand gesehen. Ich könnte mich auch dort morgen ausruhen, entspannen, einfach mal einen Tag nichts tun. Aber mich treibt es weiter nach Hause!

Von Anholt geht es weiter – aber wohin? Nach Grenaa? Oder vielleicht nach Ebeltoft? Mal sehen wie ich vorwärts komme. Gott sei Dank sind die Segelbedingungen heute vom Feinsten. Wind aus Ost bis Nordost mit 2-3 bft., von hinten, bei herrlichem Sonnenschein. Mit diesem Kurs kommen wir nur unter Segel nicht schnell genug vorwärts – also muß der Jockel mit ran. Ich bin schon wieder auf der Flucht! Der Autopilot nimmt mir einen Teil der Arbeit ab. Ich kann ein wenig ausruhen und die Fahrt geniessen. Bei bester Stimmung entscheide ich mich für das Tagesziel, für den Marup Havn auf der Westseite der Insel Samsö. Wieder bin ich 12,5 Std. unterwegs und bin der Heimat wieder 77 sm näher. Hier lerne ich wieder nur den Hafen kennen. Auch diese Insel muß wunderschön sein, was ich so von See aus gesehen habe. Aber – keine Zeit!

Am nächsten Tag soll es Richtung Fredericia am Eingang des kleinen Belts gehen, von dort dann weiter Richtung Süden durch den Alsfjord über Sonderborg, Schleimünde nach Kiel. Ich wähle diesen Kurs weil ich mir im Kleinen Belt eine geschütztere See vorstelle bei den vorwiegend aus SW bis W wehenden Winden. Soweit die Planung.

Aber es kommt anders. Da der Wind aus Südwesten kommt und immer mehr auffrischt, kann ich den Kurs nach Fredericia nicht halten. Ich entscheide mich deshalb durch den Großen Belt auf der Ostseite Fünens nach Süden zu gehen. Es ist auch ein entspanntes Segeln bei 3-4 bft. - bis zur Nordost-Ecke Fynshöved. Hier pfeift der Wind derartig um das Kap, dass ich bei vollen Segeln schnell zweimal in den Wind schieße. Stress hoch drei ist angesagt. Ich reffe beide Segel auf 1/3 der Segelfläche. So habe ich das Schiff wieder stabil unter Kontrolle und es geht bei recht bewegter See bis zur großen Brücke. Der Wind bläst mittlerweile mit über 30 kn. Gestresst komme ich in Nyborg an, wieder 10 Std. am Ruder gestanden. Für den morgigen Tag sind 1-2 bft. aus Süd angesagt. Ich freue mich über wenig Wind und gehe beruhigt schlafen.

Das Wetter am nächsten Tag kommt wie vorhersagt. Es geht mal wieder unter Motor zwischen Langeland und Fünen hindurch, in Rudköbing unter der Brücke hindurch bis Marstal. Hier wird nochmal vollgetankt und weiter geht’s. Das schöne Segelrevier - Dänische Südsee - lasse ich an steuerbord liegen. Ich bin weiter auf der Flucht und will mit aller Macht vorwärts Richtung Heimat. Bevor es eventuell morgen wieder kachelt, fahre ich weiter bei null Wind unter Motor weiter über die Ostsee. Nach 12 Std am Ruder und 80 sm erreiche ich um 18.30 h den Hafen Kiel-Friedrichsort. Wieder total geschafft kann ich Gott sei Dank längsseits an einen Steg gehen. Hier ist die Runde vollzogen. Ab jetzt geht es auf gleicher Strecke wie bei der Hinfahrt wieder zurück nach Holland, jedenfalls so ungefähr. Für den morgigen Tag habe ich mir als Ziel Brunsbüttel ausgesucht.

Um 6.30 h lege ich ab und habe auch zügig die Schleuse in den NOK passiert. Dieser Tag wird wieder komplett unter Motor abzufahren sein, denn im NOK darf man nicht segeln, abgesehen davon kommt der Wind auch genau von vorne. Dementsprechend ist auch meine Motivation. Kaum aus der Schleuse raus erhellt sich meine Stimmung. Da kommt doch um die Ecke die MS ALBATROS, die weiße Lady, mit der wir vor zwei Jahren über den Indischen Ozean gefahren sind. Es ist ein toller Anblick, dieses Schiff in der Morgensonne von unserem Schiff aus zu sehen. So geht es relativ stressfrei bis Brunsbüttel, was wir um ca. 16.00 h erreichen. Ich gehe schnell in den Ort, um noch etwas frischen Proviant zu kaufen und ich freue mich hier auf ein gemütliches Restaurant und (mindestens) ein frisches gezapftes Bier. Als ich zurück aufs Schiff komme, sehe ich, dass die Großschiffahrt keine 10m weiter an dem Liegeplatz in die Schleuse einfährt. Dementsprechend ist der Lärm von den riesigen Schrauben. Ich entschließe mich, sofort abzulegen und noch bis Cuxhaven zu kommen. Es setzt gerade die Ebbe ein und so kommen wir mit der Strömung um 21.00 h im Hafen von Cuxhaven an – nach 15 Std. und 82 km – wie gesagt: Auf der Flucht!
Jetzt habe ich  n u r  noch meine letzte Hürde vor mir – die Nordsee!

Jetzt habe ich mich in den letzten Tagen so beeilt, um vorwärts zu kommen, um schnell in die Heimat zu kommen, nun bleibe ich weitere zwei volle Tage in Cuxhaven eingeweht. Das Wetter gibt mir keine Chance, den Sprung nach Norderney zu wagen. Der Wind kommt weiter aus westlichen Richtungen und der Starkwind in der nördlichen Nordsee schickt auch Wellenhöhen von mehr als 1 m bis hinunter in die deutsche Bucht. Meine Seekrankheit möchte ich nicht herausfordern, deshalb muß ich schweren Herzens hier aushalten.

Am dritten Tag kann ich endlich weiter. Schwache Winde aus Süd bis West flüstern mir zu: Wenn nicht jetzt, wann dann! So geht es lange 13 Std. - aber bei ruhigem, anfangs regnerischem Wetter über die Nordsee Richtung Westen.

Der nächste Tag – Freitag - verläuft recht unspektakulär und ohne besonderen Vorkommnissen. Für Übermorgen ist wieder Starkwind angesagt. Deshalb möchte ich so schnell wie möglich in die schützenden Kanäle Hollands. Ich gehe kein Risiko ein und nehme nicht die Abkürzung durchs Watt in die Emsmündung sondern fahre aussen rum an Juist und Borkum vorbei in die Ems bis Delfzijl. Bei leichten Winden aus West geht es dank der Flutströmung unter Segel bis nach Delfzijl. Den ersten Gedanken, noch durch die Schleuse zu kommen bis nach Groningen verwerfe ich. Heute soll früher Feierabend sein und ich kann mich auf morgen in den geschützten Kanälen Hollands freuen. Im Segelhafen von Delfzijl finde ich eine freie Box neben der „TOPAS“. Schnell komme ich mit der Besatzung ins Gespräch und höre einen rheinischen Slang heraus. Das Ehepaar Christa und Anno kommt aus Königswinter – schön wieder heimatliche Klänge zu hören. Meine Stimmung hebt sich gewaltig! Aber nicht lange! Anno offenbart mir, dass die erste Brücke hinter der Schleuse Richtung Groningen defekt ist und mit einer Reparatur nicht vor Montag mittag zu rechnen ist. Na super! Der Weg zurück über die Ems und Nordsee bis nach Lauwersoog kommt für mich nicht in Frage, zumal für die nächsten beiden Tage mit Sturm zu rechnen ist. Also verbringen wir ein regnerisches Wochenende in der „Metropole“ Delfzijl. Da ich den beiden von meiner Reise und meiner Stimmung in den letzten Tagen erzählt habe, kümmern sie sich rührend um mich. Gemeinsam verbringen wir die Abende, mal gehen wir gemeinsam eine Pizza essen, mal werde ich von ihnen auf der TOPAS zum Essen eingeladen und einen Abend kommen sie auf die MILES & MORE, um die Weinvorräte zu dezimieren. So habe ich Gesellschaft und Unterhaltung. Tagsüber wird das Schiff innen und aussen gesäubert, so gut es geht!

Als wir am Montag erfahren, dass die Freigabe der Brücke nicht vor Freitag erfolgt, entscheide ich kurzerhand mit dem Zug nach Hause zu fahren und am nächsten Wochenende mit Ulla gemeinsam das Schiff dann über die Kanäle in den Heimathafen nach Warns zu fahren. Auch Christa und Anno haben die gleiche Entscheidung getroffen. Anno holt seinen PKW noch am gleichen Abend von Workum nach Delfzijl. Die Beiden nehmen mich freundlicherweise mit nach Hause, kommen sie doch fast an meiner Haustüre vorbei. Na, das nenne ich doch mal Glück! So sind sie eben – die Rheinländer!

Wie geplant hole ich zusammen mit Ulla am folgenden Wochenende unser Schiff nach Warns. Über Groningen, Dokkum und Sneek geht es in drei Tagen zurück in den Heimathafen. Unterwegs im Hafen Lunegat nach dem Tanken passiert mir noch das Malheur das ich mit dem Fuß umknicke. Schnell schwillt er an. So kann ich nur noch mit hochgelegtem Bein und Kühlmanschette hinter dem Steuer sitzen. (Damit sollte ich noch einige Woche zu tun haben.)

Meine Stimmung ist nicht nur deshalb weiter getrübt. Ich mache mir Gedanken, wie es weiter gehen soll mit der Segelei. Die Segelforen, in denen ich fast täglich gelesen habe, interessieren mich auch nicht mehr. Der Frust ist gewaltig und sitzt tief. Soll ich MILES & MORE verkaufen? Habe ich überhaupt noch Lust zu segeln? Lohnt es sich, weiterhin die gesamte Unterhaltung des Schiffes zu übernehmen? Der Liegeplatz im Sommer und Winter, die Wartung, die Pflege, das alles kostet viel Geld. Lohnt es sich, wenn ich nicht mehr den richtigen Spaß an diesem Hobby habe? Das alles geht mir wieder und wieder durch den Kopf. Aber ich entschließe mich, nichts zu überstürzen. Erstmal will ich die Saison zu Ende bringen und einen segellosen Winter verbringen. Ich hoffe, die Lust an diesem schönen Hobby kommt wieder zurück! Aber ich mache mir weiter Gedanken darüber, was nun zu diesem Frust geführt hat.

War ich zu lange alleine?
Ich hatte mich doch gerade auf das Alleinsein gefreut. Einmal wie Erdmann & Co alleine segeln! War die Aufgabe zu groß, alles alleine machen zu müssen, das Schiffs-Handling, überlegen was esse ich, was habe ich dafür an Proviant an Bord, was muß ich dazu kaufen. All diese alltäglichen Dinge.

Wettervorhersagen aufnehmen, berücksichtigen, entscheiden über den Kurs und das Ziel am nächsten Tag. Aber das ist doch das „Salz in der Suppe“ beim Segeln. Das ist es doch, worauf es ankommt, was Spaß macht!

Oder ist der Grund dafür, dass ich meine Eindrücke nicht teilen konnte?
Niemand war da, mit dem ich die wunderschönen Orte, traumhaften stillen Buchten und auch die teils ruhigen, teils anstrengenden Passagen über See teilen konnte.
Habe ich mir das Segeln anders vorgestellt? Nur bei 3-4 bft. halbem oder raumen Wind im Sonnenschein zu segeln. Der Motor wird nur zum An- und Ablegen gebraucht. Wie naiv bin ich eigentlich?

Habe ich die Tagesstrecken zu lang gewählt? Hätten sie kürzer sein sollen? Mehr Erholung, mehr Ruhe im Cockpit geniessen?

Oder war es die ständige Angst, dass am Schiff etwas kaputt geht, der Motor streikt, die Segel reißen, der Plotter nicht mehr funktioniert?

Angst vor Wetterkapriolen? Z.B. plötzlich auftretende Nebelbänke durch die ich durch muß, Starkwind oder Sturm, der mich überfordert, ich das Schiff nicht mehr führen kann?

Die Angst vor hohen Wellen und der damit auftretenden Seekrankheit bei längeren Seepassagen? Ich hatte in der Vergangenheit beim Mitsegeln öfters mit der Seekrankheit zu kämpfen und weiß wie diese mir zu schaffen machen kann.

Oder war der Törn einfach zu lang?

Allein die Tatsache, daß ich diese Fakten hier aufzählen kann geben mir schon die Antwort: Ich denke, ein wenig von allem wird der Grund gewesen sein.

So ein „Langtörn“ war mein Wunsch vom ersten Moment an wo ich das eigene Schiff hatte. Diesen Wunsch habe ich mir nun erfüllt und ich habe die Erfahrung gemacht! Ich habe auch die Erfahrung gemacht, es nicht noch einmal machen zu wollen. Ein Einhand- und Weltumsegler á la Erdmann & Co. werde ich ganz bestimmt nicht. Ich bin froh, diesen Törn, diese Erfahrung, gemacht zu haben. Hätte ich ihn nicht gemacht, hätte ich immer nur davon geträumt. Dann wäre ich auch nicht glücklich geworden.

Was tue ich gegen diese Gedanken? Ich hole mir all die schönen Bilder ins Gedächtnis, Bilder und Eindrücke, die ich während der drei Monate erlebt habe, insbesondere in Schwedens Ostschären und während der Passage des Götakanals.

Wie war die Eingangsfrage?
„Na wie war’s?“
Antwort:
„Es war nicht nur schön! Es war superschön! ES WAR EIN EINMALIGER – EIN TOLLER TÖRN!“

P.S.:
Fast drei Monate sind nun vergangen und es geht wieder aufwärts! Der Segelfrust ist verschwunden! Beim Schneiden des Films über diesen Törn erlebe ich die einzelnen Momente noch einmal und es bestätigt nochmal:
ES WAR EIN EINMALIGER – EIN TOLLER TÖRN!

Ich freue mich auf die Segelsaison in 2016 und ich freue mich wieder auf die MILES & MORE. Ich freue mich auf eine ruhige Zeit im Heimatrevier Ijssel- und Wattenmeer mit seinen herrlichen Nordsee-Inseln.

Und vielleicht - irgendwann wieder…………………………..